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Im Gespräch mit Dr.in Carina Altreiter

Sie ist Soziologin und aktuell als Post-Doc-Projektmitarbeiterin an der Wirtschaftsuniversität Wien tätig. Für ihre Dissertation „Woher man kommt, wohin man geht: Über die Zugkraft der Klassenherkunft am Beispiel junger IndustriearbeiterInnen" wurde sie 2017 mit dem Theodor-Körner-Preis zur Förderung von Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet.

Aus vielen Studien weiß man, wie wichtig Arbeit im Leben eines Menschen ist. Auf welche Arten ziehen Menschen aus Arbeit Sinn?

Die Art und Weise, wie Menschen Sinn aus Arbeit ziehen, ist sehr unterschiedlich. Das hat einerseits damit zu tun, wie man sozialisiert ist und welche Erfahrungen man bisher in seinem Leben gemacht hat. Andererseits hängt es auch mit den konkreten Arbeitsbedingungen zusammen, welche Bedürfnisse sich in einem Umfeld überhaupt realisieren lassen. In einem Arbeitsumfeld, das die eigene Entfaltung blockiert, können Bedürfnisse auch verkümmern. Es ist auch ein falsches Bild, zu glauben, dass sinnstiftende Arbeit immer hochqualifizierte, geistige Arbeit ist. Meine Studie zu den jungen Industriearbeiter*innen hat gezeigt, dass körperliche Betätigung, der Wunsch, handwerkliches Geschick einzubringen, ein ganz wichtiges Element ist, das gute Arbeit ausmacht.

Sie haben erforscht, wie sich die soziale Herkunft auf das Arbeitsleben von Menschen auswirkt. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse Ihrer Forschung?

In Bezug auf Beruf und soziale Herkunft gibt es zwei zentrale Erkenntnisse. Ohne Zweifel beeinflusst die soziale Herkunft den Ausbildungsweg. Dabei geht es zum einen darum, welche Möglichkeiten jemandem zum Beispiel aufgrund seiner Noten zur Verfügung stehen und wo die persönlichen Bedürfnisse dann am besten aufgehoben sind. Zum anderen spielt es auch eine entscheidende Rolle, welche persönlichen Vorstellungen man von Arbeit hat. Dazu beginnt man schon früh in der Kindheit, Erfahrungen zu sammeln. Sehen Kinder ihre Eltern im Büro arbeiten oder wächst man auf einer Landwirtschaft auf? Das alles prägt die Vorstellungen davon, was Arbeit ist. Es beeinflusst am späteren Bildungsweg, welche Bildungs- und Berufsentscheidungen man trifft und was ich später als befriedigende Arbeit erfahre.

Sie haben sich auch mit dem Thema Solidarität in der Gesellschaft beschäftigt. In der Corona-Pandemie sind die reichsten Menschen noch reicher geworden, viele andere haben verloren. Wie kann es sein, dass Millionär*innen noch immer keinen ausreichend großen Beitrag hin zu gerechter Umverteilung leisten?

In der Literatur werden unterschiedliche Phänomene besprochen, die dazu beitragen, dass es in einer Gesellschaft zu Entsolidarisierung kommt. Ein Faktor ist, wie der Sozialstaat konkret ausgestaltet ist. Ein anderer wichtiger Punkt ist das, was der deutsche Soziologe Wilhelm Heitmeyer als „hohe Bürgerlichkeit“ bezeichnet. Gerade in gut gebildeten Schichten, die sich selbst zur gesellschaftlichen Elite zählen, findet eine starke Entsolidarisierung mit unteren Gesellschaftsschichten statt. Die arbeitende Bevölkerung soll in ihren Augen vor allem als Arbeitskräfte funktionieren. Es besteht kein Interesse daran, Arbeitnehmer*innen-Schutzbedingungen auszuweiten oder gerechte Löhne einzuführen. Ich halte das für eine sehr problematische Entwicklung. Dann spielen Veränderungen in der Arbeitswelt selbst eine Rolle, die Solidarität massiv behindern. Zum Beispiel prekäre Arbeitsverhältnisse und die Furcht der Menschen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, oder wenn Arbeitnehmer*innen nur noch im Homeoffice arbeiten und sich nicht mehr begegnen. Nichtsdestotrotz schaffen es die Menschen aber trotzdem, gegen diese Entwicklungen aufzutreten. Ich erinnere an die Fahrradkuriere, die trotz Widerstand einen Betriebsrat gegründet haben oder aktuell gerade die streikenden Elementarpädagog*innen.

Ist das Bedürfnis nach einem starken Sozialstaat nach zwei Jahren Corona-Pandemie bei den Menschen wieder größer geworden?

Empirisch lässt sich dies anhand meiner Studien nicht sagen, aber was wir in unserer Solidaritätsstudie festgestellt haben, ist, dass es einen sehr hohen Zuspruch zum Sozialstaat gibt. Trotz des neoliberalen Sozialstaat-Bashings, das wir seit den Siebzigerjahren erleben, konnten wir durchwegs feststellen, dass den Menschen ein Sozialstaat sehr wichtig ist. Sie sind durchaus auch stolz darauf, dass sich Österreich damit von anderen Ländern unterscheidet. Niemand will das zurückgeschraubt sehen. Durch Corona ist dies auch auf einer politischen Ebene noch einmal stärker zum Thema geworden, in der Bevölkerung war und ist dieses Bewusstsein als eine Art Grundkonsens aber immer da, auch wenn die konkrete Ausgestaltung, und wer was vom Sozialstaat bekommen soll, durchaus umstritten ist.

Seit Jahren erleben wir, dass Arbeitnehmer*innen immer produktiver arbeiten, die Löhne hier aber nicht mitziehen. Was sind die Gründe dafür?

Hier muss man sich vor allem anschauen, wen das genau betrifft. Die Einkommensberichte des Rechnungshofs zeigen, dass die größten Einbußen seit den Neunzigerjahren bei den Reallöhnen der Arbeiter*innen und bei den unteren Einkommen der Angestellten zu verzeichnen sind. Hinzu kommen verschiedene Krisen der letzten Jahre und Veränderungen in der Arbeitswelt, die Beschäftigte sehr stark unter Druck gebracht haben. Die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer*innen in manchen Branchen, die ohnehin traditionell schon schwierig ist, ist noch schwieriger geworden.

Sichere Arbeitsplätze werden immer mehr zur Mangelware. Welche Auswirkungen hat dies auf den/die Einzelne*n und auf unsere Gesellschaft als Ganzes?

Man beobachtet auch in Österreich eine zunehmende Polarisierung der Beschäftigten. Zum einen gibt es jene, die relativ stabile, abgesicherte Verhältnisse haben. Zum anderen gibt es Menschen, die zunehmend prekären Arbeitsverhältnissen ausgesetzt sind. Wie sich das auswirkt, ist davon abhängig, ob es nur vorübergehend ist, oder ob sich das über Jahrzehnte als Status manifestiert. Eine große Rolle spielt auch, ob ich zum Beispiel in der Eigentumswohnung meiner Eltern wohne oder ob ich mir mein Leben selbst finanzieren muss. Damit lässt sich Unsicherheit unterschiedlich gut aushalten. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass unsichere Arbeitsverhältnisse auch zu einer Verunsicherung der Mitte führen. Wenn man Kolleg*innen konstant kommen und gehen sieht, kann das starken Konformitätsdruck nach sich ziehen und Solidarität behindern. Hier ist es wichtig, auf institutioneller Ebene, über Gesetze und Kollektivverträge, entgegenzuhalten.

Für immer mehr Menschen ist es wichtig, dass sie einen nachhaltigen Sinn abseits des Lohnzettels in ihrer Arbeit sehen. Was bedeutet das für die Arbeitswelt von morgen?

Das ist sehr schwierig vorherzusagen, da man, Stichwort Corona-Nachwehen oder Ukraine-Krieg, nicht weiß, was in ein, zwei Jahren sein wird. Je stärker der wirtschaftliche Druck ist, umso schwieriger ist es für die Menschen, diesen Sinn durchzusetzen, außer, man ist irgendwie anders abgesichert. Ein geringes Arbeitslosengeld und steigender Druck, wieder in den Arbeitsprozess zurückzukehren, verhindern das noch mehr.

Entschlossen den Wiener Weg gehen.

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